Einleitung

Das Schicksal der Kunst- und Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg war verheerend. Ein großer Teil davon wurde durch Kampfhandlungen vernichtet, der andere Teil wurde als Kriegsbeute von ihren Heimatorten abtransportiert und in andere Staaten verlagert. Zuerst hat das nationalsozialistische Deutschland in großem Umfang Kunst- und Kulturgüter in der Sowjetunion und in anderen europäischen Ländern geraubt. Als die Sowjetarmee nach der Kriegswende in die deutschen Gebiete östlich von Oder und Elbe kam, wurde ein entgegengesetzter Prozess gestartet. Nach der Niederlage Deutschlands wurden in Ostdeutschland (der Sowjetischen Besatzungszone, SBZ) hunderttausende Kunst- und Kulturgegenstände deutscher und nichtdeutscher Herkunft durch sowjetische Trophäeneinheiten und Besatzungsbehörden in Beschlag genommen und in die UdSSR abtransportiert.

Teilweise wurde versucht, diesen Ausfuhrstrom rechtlich zu begründen; auf der Regierungsebene nannte man diese Kunst- und Kulturentwendung kompensatorische Restitution für sowjetische Kulturverluste im Krieg. Aber sehr oft geschah dies infolge von subjektiven Entscheidungen der Instanzen der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, einzelner Truppenkommandeure und in der SBZ zeitweilig „gastierender“ Vertreter der Moskauer Ministerien und Ämter. Viele Objekte wurden einfach als „private Trophäen“ von Armeeangehörigen nach Hause geschickt. Nach groben Einschätzungen wurden aus den deutschen Gebieten 1944–1949 in die UdSSR insgesamt von ein bis zwei Millionen Kunst- und Kulturgegenstände (ohne Büchersammlungen) abtransportiert.

Dabei sollte anmerkt werden, dass die sowjetische Seite damals unter dem Begriff „Kunst- und Kulturgüter“ wesentlich mehr als nur Werke der Malerei und Bildhauerei verstand. So standen in den von den sowjetischen Experten erstellten Listen folgende Arten von Kunst- und Kulturgegenständen: Gedenkobjekte; archäologische Artefakte; historische und ethnographische Sammlungen; Gemälde und Bildhauerei; Objekte der angewandten Kunst; Objekte aus dem Garten- und Landschaftsbau; Musikinstrumente; alte Manuskripte und seltene Bücher; Archivalien; Büchersammlungen; Manuskripte von literarischen Werken und Musiknoten, wissenschaftliche Arbeiten, architektonische Pläne und Karten; naturwissenschaftliche Sammlungen; Foto- und Filmarchive; religiöse Kultobjekte.

In den 1950er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden etwa Dreiviertel der Gesamtmenge der verlagerten deutschen Kunst- und Kulturgegenstände auf Beschluss der sowjetischen staatspolitischen Spitze an die DDR zurückgegeben. Der Rest, darunter weltberühmte Sammlungen, blieb jedoch in der UdSSR. 1998–2000 wurden diese verlagerten Kunst- und Kulturgüter per Gesetz zum Eigentum der Russischen Föderation erklärt. Über ihren Gesamtbestand und Aufenthaltsort gibt es – mit Ausnahme einzelner Sammlungen – bis heute keine objektiven und genauen Angaben.

Die hier präsentierte Webseite enthält eine archivalische Dokumentation über die Suche, Entdeckung, Registration, Sammlung und den Abtransport der Kunst- und Kulturgüter aus den sowjetisch besetzten deutschen Gebieten in die UdSSR in den Jahren 1945–1949. Diese archivalische Basis wurde in ukrainischen und deutschen Staatsarchiven, in ihrer großen Mehrheit aber in folgenden russischen Archiven entdeckt: dem Staatlichen Archiv der Russischen Föderation (GARF), dem Russischen Staatlichen Archiv für Literatur- und Kunstgeschichte (RGALI), dem Russischen Staatlichen Militärarchiv (RGVA), dem Russischen Staatlichen Archiv für sozialpolitische Geschichte (RGASPI), dem Dienstarchiv des Kulturministeriums der Russischen Föderation.

Funktionell kann dieser Komplex von digitalisierten Archivdokumenten in folgende Themengruppen unterteilt werden:

– Dokumente der sowjetischen Kunstbehörden und Gutachter für die kompensatorische Restitution von Kunst- und Kulturgütern aus Deutschland, Listen deutscher Äquivalente für den Ausgleich der kulturellen Verluste der UdSSR;

– Direktiven, Verfügungen, Anordnungen und Befehle der SMAD und der höheren Staats- und Parteibehörden der UdSSR zu dieser Frage;

– Dokumentationen über die Suche, Identifizierung und Auswahl von Kunstwerken, Büchersammlungen und Archivmaterialien in der SBZ und ihren Transport in Sammellager;

– innerer und administrativer Schriftverkehr der sowjetischen Kunstbrigaden und Kunstdepots (Berlin und Dresden) in der SBZ;

– Sammelberichte der sowjetischen Kunstbrigaden und Kunstdepots in der SBZ über die von ihnen geleistete Arbeit;

– Materialien über den Abtransport der Kunst- und Kulturgüter in die UdSSR;

– Materialien über den Empfang von Kunst- und Kulturgütern aus Deutschland in den größten sowjetischen Museen (dem Eremitage-Museum in Leningrad, dem Staatlichen Puschkin-Museum für bildende Künste und dem Staatlichen Historischen Museum in Moskau) und in anderen Kunst- und Kultureinrichtungen der UdSSR.

Selbstverständlich ist diese Webseite samt der Datenbank nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Erschließung der Archivalien sowjetischer Herkunft zu diesem Problem. Aktuell bleibt z. B. die Frage des Zugangs zu den wissenschaftlichen Archiven der oben genannten prominenten russischen Museen, welche den wertvollsten Teil der „Beutekunst“ in der Nachkriegszeit erhielten (insgesamt wurden dort ca. 250 000 deutsche Kunstwerke gelagert). Abschließend hoffen wir, dass diese Datenbank als eine gute Grundlage für die weitere wissenschaftliche Erforschung des Problems der deutschen Beutekunst in Russland dienen kann.